Dienstag, 2. Dezember 2008

Der Pförtner des Bordells


Hier schon die dritte Geschichte des Adventskalenders. Ich hoffe sie gefällt euch auch.


Kein Beruf war in diesem Dorf so schlecht angesehen und so schlecht bezahlt wie der des Pförtners des Bordells. Aber… was könnte dieser Mann anderes tun. Tatsächlich hatte er nie weder schreiben noch lesen gelernt. In Wirklichkeit arbeitete er in diesem Beruf, weil sein Vater schon Pförtner in diesem Bordell war, und vor jenem, schon der Vater seines Vaters.

Eines Tages starb der alte Eigentümer, und ein rastloser und unternehmerischer junger Mann wurde für das Bordell zuständig. Der junge Mann wollte das Geschäft erneuern, besserte die Zimmer auf und wandte sich danach dem Personal zu, um ihm neue Instruktionen zu geben. Dem Pförtner sagte er: „Ab dem heutigen Tag müssen Sie, neben der alltäglichen Pförterarbeit, einen wöchentlichen Bericht abliefern, in dem Sie die Anzahl der Pärchen notieren, die jeden Tag kommen. Eins von fünf fragen Sie, wie sie empfangen wurden, und was sie verbessern würden.“
Der Mann zitterte. Nie hatte ihm der Wille zu arbeiten gefehlt, aber…
„Ich würde Ihrem Wunsch gerne entgegenkommen, mein Herr, aber ich… kann weder lesen noch schreiben.“ – „Ah, wie es mir Leid tut… wie Sie verstehen, kann ich weder jemand anderes für diese Aufgabe einstellen, noch kann ich darauf warten, bis Sie lesen und schreiben lernen. Von daher…“ - „Aber mein Herr, Sie können mich nicht entlassen. Ich habe hier mein ganzes Leben gearbeitet, so wie mein Vater und mein Großvater.“ „Ich verstehe, aber ich kann nichts für Sie tun. Selbstverständlich werde ich Ihnen eine Entschädigung geben. Es tut mir Leid. Viel Glück.“
Für den Mann ging eine Welt zugrunde. Niemals hätte er gedacht, dass er sich in dieser Lage wiederfinden würde. Er ging nach Hause. Was könnte er jetzt tun?

Und dann erinnerte er sich, dass im Bordell, manchmal, wenn ein Bett zerbrach oder ein Schrankbein beschädigt war, er den Defekt mit einem Hammer und Nägeln provisorisch repariert hatte. Das könnte eine Übergangsbeschäftigung für ihn werden, bis ihm jemand eine bessere Stelle anbot. Er suchte das Werkzeug, aber fand bei sich nur ein paar verrostete Nägel. Er würde einen neuen Werkzeugkasten kaufen müssen. Darauf verwendete er einen Teil des Geldes seiner Entschädigung. Aber in seinem Dorf gab es kein einziges Eisenwarengeschäft; er würde zwei Tage mit dem Maulesel zum nächstgelegenen Dorf reisen müssen. „Was macht das schon“, und er reiste zum Dorf und kam mit einem Werkzeugkasten zurück. Dort erwartete ihn sein Nachbar.
„Hallo. Ich frage mich, ob du mir nicht einen Hammer leihen könntest.“
„Hör mal, ich habe ihn eben gekauft, aber ich brauche ihn zum arbeiten.“
„Ich bringe ihn morgen früh zurück.“ – Und der Mann willigte ein.
Am nächsten Morgen klopfte der Nachbar an seiner Tür. „Schauen Sie mal, ich brauche den Hammer noch, warum verkaufen Sie ihn mir nicht?“
„Nein, ich brauche ihn zum Arbeiten, und das Eisenwarengeschäft ist zwei Tage entfernt.“
Der Nachbar schlug vor: „Machen wir ein Geschäft. Ich zahle Ihnen den Lohn für die vier Tage Reise und außerdem den Preis des Hammers und einen kleinen Bonus.“
Der Mann willigte ein.
Bei seiner Rückkehr wartete ein anderer Nachbar vor seinem Haus.
„Hallo. Sie verkauften einen Hammer an unseren Freund?“
„Ja.“
„Ich brauche einiges Werkzeug. Ich bin bereit, Ihnen die vier Tage Reise zu bezahlen und einen kleine Gewinnsumme für jedes Werkzeug. Wir haben nicht alle vier Tage für unsere Einkäufe Zeit…“
Die letzten Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf: „Wir haben nicht alle vier Tage für unsere Einkäufe Zeit…“ Wenn das stimmte, bräuchten vielleicht viele Leute Werkzeug. Auf der nächsten Reise riskierte er ein wenig des Geldes seiner Entschädigung und kaufte mehr Werkzeuge, als bei ihm bestellt worden waren.
Viele Dorfbewohner entschieden sich nun, bei dem Mann zu kaufen, statt selbst die Reise zu unternehmen. Bald stellte er fest, dass er mit einem Lagerort für sein Werkzeug mehr Geld verdienen könnte. Also mietete er einen kleinen Geschäftsraum. Fast ohne es zu merken, verwandelte sich sein Lagerraum in das erste Eisenwarengeschäft seines Dorfes.

Alle waren zufrieden. Alle kauften in seinem Geschäft. Er musste nicht mehr reisen. Das andere Eisenwarengeschäft schickte ihm seine Bestellungen; schließlich war er ein sehr treuer Kunde. Mit der Zeit kauften immer mehr Händler in der Umgebung in seinem Geschäft. Eines Tages fiel ihm ein, dass sein Freund, der Dreher, ihm die Hammerköpfe herstellen könnte. Und danach, warum nicht, einfache Zangen, und Klemmen, und Meißel… danach kamen die Nägel und die Schrauben. Um die Geschichte nicht noch länger zu machen, erzähle ich dir, dass jener Mann in zehn Jahren mit der Herstellung von Werkzeugen zu einem Multimillionär wurde, mit Ehrlichkeit und viel Arbeit.

Der ehemalige Pförtner wurde so zum mächtigsten Geschäftsmann der Gegend. So mächtig, dass er eines Tages zum Schulanfang seinem Dorf einen Schule stiftete. Neben Lesen und Schreiben wurden dort die nützlichsten und praktischten Berufe jener Zeit gelehrt. Der Bürgermeister veranstalteten eine große Einweihungsfeier und ein beachtliches Diner zur Ehre des Gründers. Beim Nachtisch übergab der Bürgermeister dem Mann die Schlüssel der Stadt, umarmte ihn und sagte: „Mit großem Stolz und großer Dankbarkeit bitten wir Sie, Ihre Unterschrift auf das Gründungsdokument der neuen Schule zu setzen.“
„Die Ehre wäre ganz meinerseits“, sagte der Mann, „aber ich kann weder lesen noch schreiben, ich bin Analfabet.“
„Sie!“ sagte der Bürgermeister, und konnte es sicher immer noch nicht glauben.„Sie können weder lesen noch schreiben! Sie, der ein Industrieimperium aufbaute, taten dies ohne Lesen noch schreiben zu können!! Ich bin sehr erstaunt. Ich frage mich, zu was Sie imstande gewesen wären, wenn Sie lesen und schreiben gekonnt hätten!“

„Diese Frage kann ich Ihnen beantworten“, erwiderte der Mann ruhig. „Wenn ich lesen und schreiben gekonnt hätte, wäre ich Pförtner des Bordells.“

Nicht alle Begebenheiten, die zunächst wie ein Unglück erscheinen, sind es wirklich, und vermeintliches Glück kann auf lange Sicht Schlechtes bringen.

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